Die Energiewende in Deutschland ist ein Mammutprojekt. Eine der größten Herausforderungen dabei bleibt die Finanzierung – vor allem durch den privaten Sektor. Ein Beispiel.
Die Elektromobilität ist ein wesentlicher Baustein der Energiewende. Neben der schadstoffarmen Ausrichtung des Verkehrs werden Elektrofahrzeuge beziehungsweise deren Batterien zunehmend als potentielle Energiespeicher interessant. Da regenerative Energiequellen nicht immer gleichmäßig zur Verfügung stehen, muss der durch sie gewonnene Strom in Zeiten eines niedrigen Verbrauchs gespeichert werden, um ihn dann abrufen zu können, wenn eine Energieerzeugung nicht möglich ist. Künftig können auch die Traktionsbatterien von Kraftfahrzeugen diese Speicherfunktion übernehmen. Dieses „Vehicle to Grid“ genannte Verfahren steht noch am Anfang, die technische Möglichkeit des bidirektionalen Ladens ist bereits mehrfach erfolgreich erprobt worden.
Das Ökosystem der Ladeinfrastruktur mit Teilnehmern wie Autobesitzern, Autoherstellern, Ladeserviceanbietern, Ladepunktbetreibern oder Energieversorgern wird damit auch für Investoren und Finanzierer komplexer. Da ist zunächst die Marktsituation: Der bisherige Aufbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur ist stark fragmentiert und durch Subventionen verzerrt. Der Aufbau eines Marktes, der Angebot und Nachfrage regeln könnte, kommt erst langsam in Gang. Hinzu kommt: Für private Investoren sind die möglichen Erträge ausschlaggebend, entsprechend wären sie primär daran interessiert, Infrastruktur in A-Lagen zu finanzieren. Das öffentliche Interesse besteht jedoch auch in einem Angebot in schwächeren Lagen. Denn letztendlich hängen Akzeptanz und Markterfolg der Elektromobilität wesentlich von der Verfügbarkeit eines möglichst breiten Ladenetzwerks ab.
Mögliche Lösungen sind die Bündelung unterschiedlicher Standorte in Paketen oder eine nutzungsabhängige Förderung – mehr Förderung für weniger genutzte Standorte. Dabei werden Ladesäulen nicht nur an hochfrequentierten und ertragsstarken Standorten finanziert, sondern auch in Gegenden, die weniger Erträge erwarten lassen. Eine Bündelung reduziert das Risiko einer einzelnen Ladesäule und kann gleichzeitig die Verarbeitung der Zahlungsströme vereinfachen, da die Abrechnung einzelner Säulen zu kleinteilig wäre. Das gilt umso mehr für den Fall, dass die Säulen für bidirektionales Laden genutzt werden sollen. Dann wäre der Nutzer nicht nur Käufer, sondern möglicherweise auch Empfänger von Zahlungen für das bloße Bereitstellen seiner Batteriekapazität
Das Beispiel zeigt, wie komplex Finanzierungen in Zukunft sein können. Die sektorübergreifende Vernetzung von Ökosystemen dürfte das Merkmal vieler künftiger Finanzierungsprojekte sein. Sie erfordert die Berücksichtigung der Interessen unterschiedlicher Stakeholder. Die Generierung von Erträgen durch mögliche Verpflichtungen zu Zahlungen an Lieferanten von Batterieinfrastruktur führen wiederum dazu, dass die ganze Finanzierung stark auf variablen Zahlungsströmen aufbaut. Das dürfte in den Sharing und Circular Economies der Zukunft zum Standard gehören. Unternehmen sollte diese Komplexität nicht abschrecken, ermöglicht sie doch den Zugang zu nachhaltigen Finanzierungsprojekten. Hilfe kommt dabei von Banken, die schon heute Erfahrungen in der Bündelung und Abwicklung variabler Zahlungsströme sammeln, die sich auch auf andere Felder übertragen lassen.
Gastbeitrag von Michael Spahn, Co-Head Financial Institutions & Public Sector bei ING Wholesale Banking in Frankfurt am Main und Jens Brokate, Vice President im Automotive Sector bei ING Wholesale Banking in Frankfurt am Main, 25.03.2022, DerTreasurer 01/2022