Banken spielen Schlüsselrolle für Unternehmen im Wandel – Einen dauerhaften Mehrwert über die Funktion des reinen Finanzierers hinaus bieten
Der Ukraine-Krieg und die anhaltenden Einschränkungen der globalen Lieferketten stellen deutsche Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Denn einige bisher selbstverständliche Säulen des exportabhängigen Wirtschaftsstandortes Deutschland sind gerade ins Wanken geraten: seien es preiswerte und immer verfügbare Rohstoffe, die globale Arbeitsteilung oder die nationale Sicherheit.
Kein „Weiter so“
Gleichzeitig beschleunigen der Krieg und die Corona-Pandemie noch einmal Entwicklungen, die uns bereits seit einigen Jahren begleiten. Dazu zählen Energie- und Mobilitätswende, Digitalisierung, Cybersecurity und Verschiebungen der globalen politischen sowie wirtschaftlichen Gleichgewichte. Sogar grundlegende Annahmen wie die Vorteile eines grenzenlosen globalen Wirtschaftswachstums oder individueller Mobilität werden in Frage gestellt. Kurzum, es wurde schon lange von einer Welt im Wandel gesprochen, doch dies hat noch einmal massiv beschleunigt.
Ein „Weiter so“ wird es für deutsche Unternehmen unter diesen Umständen nicht geben. Vielmehr müssen sich die Geschäftsmodelle immer schneller an die sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen. Nur so können Unternehmen langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein von und zugleich den veränderten Erwartungen der Gesellschaft gerecht werden. Es spricht viel dafür, dass der deutschen Wirtschaft diese Mammutaufgabe des Wandels – die Transition – gelingen wird. Sie bedarf allerdings einer enormen Kraftanstrengung aller Beteiligten: der Unternehmen; der Politik und nicht zuletzt der Kreditwirtschaft, die die Transition in großen Teilen finanzieren wird.
Dass derart tiefgreifende Veränderungen mit einem entsprechendem Investitionsdruck einhergehen, dürfte niemanden überraschen. Und so spielen Banken bei der Transition zu zukunftsfähigen Geschäftsmodellen eine Schlüsselrolle, vor allem dann, wenn es um die Finanzierung der strategischen Veränderungen geht. Viele Unternehmen pflegen jahrelange und vertrauensvolle Beziehungen zu ihren Kernbanken. Ob eine Bank allerdings dieser Rolle auf dieser besonderen Reise in einer sich schneller drehenden Welt gerecht werden kann, hängt grundlegend davon ab, ob sie die tiefgreifenden industriespezifischen Trends versteht und mit geeigneten Finanzierungsleistungen zu begleiten weiß – sprich über das entsprechende Branchenexpertise verfügt.
Transition im Bankeninteresse
Aus Sicht der Banken gibt es viele Gründe Unternehmen zu einer Transition zu ermutigen und diesen Prozess aktiv zu begleiten. Einer ist die eigene gesellschaftliche Rolle. Die Transition ist eine der komplexesten Herausforderungen, die es in der Geschichte zu bewältigen gibt. Doch Banken haben hier die Möglichkeit eine Schlüsselrolle zu spielen und ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft zurückzugewinnen. Dazu müssen sie eine aktive Rolle einnehmen und Unternehmen und damit die Gesellschaft im notwendigen Wandel unterstützen. Ein Beispiel ist die Unterstützung von Kunden in der Verbesserung ihre CO2-Bilanz.
Neben der gesellschaftlichen Erwartungshaltung gibt es wirtschaftliche Gründe für die Begleitung der Unternehmen im Wandel. Die Nachfrage nach speziell zugeschnittenen Finanzierungslösungen wächst stetig und ermöglicht Banken sich als strategischer Partner zu etablieren – vorausgesetzt sie bringen die entsprechende Branchenexpertise mit. Dies nutzt am Ende nicht nur dem Kunden, der eine zu seinen Bedürfnissen passende Finanzierungslösung erhält, sondern auch der Bank, die sich mit ihrem Expertenwissen einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Beispiel Glasfaserausbau
Ein Beispiel ist der Glasfaserausbau in Europa: die ING war an vier der letzten fünf Projekte bei Finanzierungen oberhalb 1 Milliarde Euro beteiligt. Im Bereich der Nachhaltigkeit geht die Veränderung schließlich so weit, dass „grüne“ Finanzierungen mittelfristig zum neuen Standard werden, „braune“ Geschäftsmodelle dagegen aus gesellschaftlichen oder regulatorischen Gründen schlussendlich verdrängt werden. Als finanzierende Bank drohen in diesem Fall nicht nur Reputationsrisiken, sondern auch erhöhte Ausfallrisiken. Banken sichern also Unternehmenswerte, wenn sie gemeinsam mit den Kunden einen Wandel im Geschäftsmodell vorantreiben.
Das Thema Energiewende macht zugleich deutlich, wie wichtig die enge Zusammenarbeit mit der Politik und dem Regulator ist. So dürften etwa Gaskraftwerke langfristig zu den sogenannten „Stranded Assets“ gehören, deren Finanzierung für eine Bank nicht sinnvoll wäre. In den nächsten 15 bis wahrscheinlich sogar 25 Jahren sind Gaskraftwerke aber im Zuge der Transition weiterhin notwendig, um die Energieversorgung abzusichern. Wie soll also hier mit der Frage der Finanzierung umgegangen werden? Die aktuell bestehenden regulatorischen Vorgaben, etwa in der EU-Taxonomie, bilden den Aspekt der Transition von Unternehmen nur unzureichend ab und fokussieren zu stark auf einen erreichten nachhaltigen Status Quo als Bewertungskriterium.
Die Möglichkeiten Unternehmen in ihrer Transition zu unterstützen sind vielseitig. Im Bereich der Nachhaltigkeitsfinanzierung sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Instrumente entstanden:
Green Bonds und Green Loans ermöglichen eine gezielte Finanzierung abgegrenzter grüner Projekte. Sie zählen mittlerweile zu den Standardinstrumenten nachhaltig ausgerichteter Finanzierungen. 2021 wurde in Deutschland ein Volumen von 65,37 Mrd. Euro an Green Bonds emittiert. Die Verknüpfung des Green Bonds oder Green Loans mit konkreten Förderprojekten erlaubt dabei die effektive Messung der erzielten Wirkung, des „Impact“.
Bestimmte Ziele im Fokus
ESG- oder Sustainability-linked Loans wiederum setzen auf der Unternehmensebene an. Die Verbesserungen der Finanzierungskonditionen sind hier abhängig von der Erreichung bestimmter Nachhaltigkeitsziele oder -ratings des Unternehmens und verschlechtern sich, wenn diese verfehlt werden. Damit steht die Gesamtqualität des Unternehmens im Vordergrund, ein Aspekt, der künftig nicht nur bei der Festlegung von Darlehenskonditionen eine Rolle spielen dürfte.
Auch in anderen Bereichen kann sich eine stärkere Ausrichtung an ESG-Zielen für die Unternehmen auszahlen, zum Beispiel bei Finanzmarktinstrumenten. So hat die ING in Deutschland im Mai ein Pilotprojekt gestartet, bei dem im Devisenhandel die Bepreisung nicht mehr allein an die Bonität oder die Rentabilitätskennziffern des Kunden geknüpft ist, sondern ganz gezielt auch an dessen ESG-Leistungen. So werden Bemühungen um eine stärkere ESG-Ausrichtung durch konkrete finanzielle Vorteile honoriert.
Tiefgreifende Expertise wichtig
Die Bewertung der Transformationsprojekte und -agenda eines Unternehmens, sei es nun im Bereich Digitalisierung, regenerative Energieanlagen oder neue Mobilitätskonzepte, erfordern auf Bankenseite heute ein anderes, erweitertes Know-how als im klassischen Kreditgeschäft. Auch gehen mit dem Wandel von Geschäftsmodellen häufig neue Abrechnungsmodelle einher. Beispiel Mobilitätswende: Sharing-Modelle wie beim Carsharing oder der Nutzung von Elektroladeinfrastruktur generieren durch „Pay per Use“ stark nutzungsbezogene und damit variable Zahlungsströme. Die Prognose künftiger Cashflows, und damit die Bewertung entsprechender Finanzierungsvorhaben, ist deutlich komplexer als bei der klassischen Maschinenfinanzierung über festgelegte Zeiträume.
Gefragt sind deshalb zunehmend interdisziplinäre Teams, in denen Firmenkundenbetreuer, Risiko-, Nachhaltigkeitsexperten und Ingenieure zusammenarbeiten. Sie können dabei helfen, die Vielzahl von Interessen, die durch die industrieübergreifende Vernetzung verschiedener Stakeholder wie Produzenten, Betreiber oder Nutzer entstehen, in Einklang zu bringen. So aufgestellt können Banken in die Rolle eines beratenden Partners wechseln – und bieten ihren Kunden so einen dauerhaften Mehrwert über die Rolle des reinen Finanzierers hinaus.
Gastbeitrag von Eddy Henning, Vorstandsmitglied der ING Deutschland, zuständig für Wholesale Banking, 25.06.20212, Börsen-Zeitung