Die fortschreitende Urbanisierung, die kurzfristige Reduzierung lokaler Emissionen und dann noch die Energiewende – die aktuellen Herausforderungen für Städte könnten kaum größer sein.
Dabei wollen die anstehenden Komplexitäten integriert, und vor allem an einem langfristigen Planungshorizont orientiert, gelöst werden. Die Städte wachsen, die Bewohner verzichten ungern auf das Auto und trotzdem müssen Emissionen schnell reduziert werden, ansonsten drohen Fahrverbote oder EU-Bußgelder.
Gleichzeitig schreitet die Energiewende in Deutschland immer weiter voran, bis auf 52% wuchs der Anteil erneuerbarer Energiequellen bis Ende Oktober 2020. Auch wenn dieser Anstieg teilweise durch den geringeren, COVID-19 bedingten Verbrauch der Industrie begründet ist, der Trend zu nachhaltigeren Energiequellen ist klar erkennbar. Insbesondere der beschlossene Nuklear- und Kohleausstieg fungiert als politisches Signal zu einer „grünen“ Veränderung und hin zu regenerativen Energien.
Die erneuerbaren Energieträger steuern immer mehr zur Erzeugung bei. Immer mehr Tage im Jahr sind dadurch geprägt, dass bei guten Sonnen- und Windverhältnissen die Nachfrage gänzlich durch nachhaltige Energieerzeugung dargestellt werden kann. Der „Green Deal“ der EU soll als Konzept zur Reduktion der Emissionen von Treibhausgasen einerseits aus der Corona-Krise helfen und andererseits die Energiewende entscheidend beschleunigen.
Auf der anderen Seite gibt es dann immer mehr Tage, an denen Sonne und Wind fleißig unsere Kraftwerke Strom produzieren lassen, mitunter allerdings wesentlich mehr als zeitgleich benötigt wird. Häufig fehlen dann Kapazitäten, um die überschüssig erzeugte Energie zu speichern. Die Hoffnung liegt daher derzeit stark im Wasserstoff.
Das Prinzip ist einfach: wenn es zu viel Strom im Netz gibt, dann wird einfach Wasserstoff produziert. Dieser kann dann in das vorhandene Gasnetz eingespeist werden oder auch zu „Green Fuels“ verarbeitet werden. Alternativ kann man den nicht benötigten Strom in teuren Batterien speichern. Technisch ist also vieles möglich. Allerdings sollte man auch die Kosten bei der CO2-Vermeidung stets im Blick haben. In jedem Fall zeichnet sich ab: die Energiewende wird sehr teuer.
Paradigmenwechsel in der Energieversorgung durch „Schwarmbatteriespeicher“
Hier kommt die Mobilitätswende ins Spiel. Das Elektroauto kann als hoffnungsvolle Lösung gesehen werden – insbesondere im urbanen Kontext. Im November 2020 wurden beim Autogipfel in Berlin neue Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität beschlossen. Die Bundesregierung erwartet 2030 bis zu 10 Mio. Elektroautos bzw. Plug-in Hybride auf Deutschlands Straßen.
Die aktuelle Kapazität von Batterien für besagte Elektroautos liegt bei insgesamt 500 oder mehr Gigawattstunden. Wenn nun (teil)-elektrische Autos die Stromnetze in beide Richtungen stabilisieren könnten und Autos somit als “Schwarmbatteriespeicher“ fungieren würden, müsste man keine teuren Stromspeicher bauen.
Dabei ist es nicht zwingend der Fall, dass der Strom aus dem Auto kommt, es reicht die theoretische Verfügbarkeit, die mit fortschreitender Energiewende immer notwendiger werden würde. Diese Energiereserve wird als Regelenergie bezeichnet. Schon jetzt gibt es einen Markt für Regelenergie, der sich aktuell aus Sicht eines Batteriespeicher-Besitzers jedoch wenig lohnt. Das wird sich in absehbarer Zeit ändern, da mit zunehmenden Schwankungen in den Stromnetzen Regelenergie immer relevanter wird. Dennoch ist Kapitaleffizienz bei den anstehenden Investitionserfordernissen dringend gefragt.
Da die Batterie des Elektroautos bereits produziert und bezahlt ist, würde das Bereitstellen der Batterie den Besitzern einen Erlös generieren. Vehicle-to-Grid (V2G) lautet der Fachbegriff, der nicht ganz neu ist, erste Studien dazu gab es schon 2008. 2019 bezeichnete das Handelsblatt dieses Konzept als „Alptraum der Energiewende-Gegner“. Die technische Machbarkeit des bidirektionalen Ladens ist in Feldversuchen bereits erfolgreich getestet worden, der „Alptraum“ der Energiewende-Gegner könnte also wahr werden. Darüber hinaus wird aktuell der Großteil der deutschen PKWs nur wenig am Tag (im Schnitt 30km / Tag) bewegt, was eine zukünftige Integration von Elektroautos in das V2G-Konzept erleichtern würde. Eine Steigerung der Nutzerakzeptanz für das besagte Konzept steht jedoch noch bevor.
„V2G in Practice“ oder „A Driver’s Journey” – Komfort schafft Nutzerakzeptanz
Stellen wir uns einen typischen Pendler vor: Georg fährt morgens los, hat 25 Kilometer Fahrtstrecke und fährt mit einer zu 70% geladenen Batterie los, damit er mit ca. 50% im Büro ankommt. Dort verbindet er sein Auto mit dem Ladeanschluss im Büro. Er wird das Auto erst am frühen Abend wieder benötigen.
In der Zwischenzeit steigt der Stromverbrauch am Arbeitsort, aber auch die Stromproduktion durch erneuerbare Energien, da die Sonne über die Morgenstunden immer stärker wird. Wind weht heute auch recht beständig. Die erzeugte Energie übersteigt dann auch den Verbrauch, was das Auto nun aktiv als Stromspeicher notwendig macht. Georg fährt nach Hause, der gespeicherte Strom wird nun im lokalen Netz zuhause benötigt. Die Batterie eines Elektroautos reicht aus, um bis zu acht Stunden ein Einfamilienhaus mit Strom zu versorgen (Beispiel: 3 Personen EFH, 4500kwh pa, =12.5kwh pT, 50 bis 100kwh Batterie).
Von Georg sollte nicht verlangt werden, dass er sein Auto mit dem Stromnetz verbindet. Management der Batterieladung, Erlöse durch Energiespeicher-Bereitstellung, erhöhter Ladezustand aufgrund einer geplanten Fernreise und geplante Zieldestination, all das sollte Georg abgenommen werden, um eine benutzerfreundliche und unkomplizierte Integration in den Alltag zu ermöglichen.
Erneuerbare Energieerzeugung und Elektroautos – ein virtuelles Kraftwerk entsteht
Zufällige Erzeugung durch Wind und Sonne virtuell verbunden mit den Batterien der Elektroautos. Die Energiewende wird sicherlich nicht einfach zu lösen sein. Doch die schiere Größe und das bislang unausgeschöpfte Potenzial des Schwarmspeichers Elektroauto könnte der „Gamechanger“ der Energiewende sein. Das so entstehende virtuelle Kraftwerk kann und sollte mit den zur Verfügung stehenden Ergänzungen erweitert werden, um so zu einem wesentlichen Baustein der Energiewende zu werden.
Gamechanger IoT – Digitalisierung als Lösung
Die Vernetzung moderner Fahrzeuge erlaubt es, die Fahrzeugnutzung mit anderen Dienstleistungen zu verknüpfen. Somit wird das Auto zum Teil des Internets der Dinge (Internet of Things – IoT). Grundvoraussetzung, damit solche Lösungen akzeptiert werden, ist die nahtlose Einbindung des Fahrzeugs in den Alltag des Endnutzers und das Vermeiden von Medienbrüchen innerhalb des digitalen Ökosystems. Dies gilt sowohl für die Bedienung und Steuerung als auch die Hintergrundprozesse, wie z. B. Zahlungen. Hierbei stellen einfache und möglichst autonome Zahlungen im Fahrzeug einen entscheidenden Schritt im Transformationsprozess dar.
Sogenannte In-Car Payments sind in das Fahrzeug integrierte Bezahllösungen, welche es dem Nutzer ermöglichen, für Dienstleistungen und Waren zu bezahlen, ohne das Auto zu verlassen. Die offen sichtlichen Anwendungsfälle sind das Bezahlen von fahrzeugnahen Dienstleistungen, wie z. B. Parkgebühren, Kraftstoff, Strom an Ladesäulen oder, im Fall geteilter Fahrzeuge, für die Fahrzeugnutzung selbst. Dem Endnutzer können auch Zahlungen gutgeschrieben werden, wenn er sein Elektrofahrzeug beispielsweise kurzfristig vermietet oder er es als Schwarmspeicher zur Verfügung stellt. Das sich hieraus ergebende Potenzial ist enorm, da man sein Auto statistisch nur eine Stunde am Tag zur Fortbewegung nutzt.
Zur erfolgreichen Umsetzung solcher Lösungen sind die Digitalisierung und Vernetzung von entscheidender Bedeutung. Die Abläufe solcher Prozesse können so realisiert werden, dass sie ohne ein weiteres Zutun des Nutzers gesteuert werden, was einen merklichen Vorteil für die Nutzerakzeptanz schafft.
Neben dem Komfort sind auch ökonomische Aspekte wie etwa die Ausführung von Zahlungen betroffen. Die Abrechnung und Ausführung vieler kleiner Zahlungen ist ineffizient. Gleiches gilt für die Buchung monetärer Anreize im Schwarmspeicher. In konventionellen Systemen übersteigen die Transaktionskosten womöglich den Wert der Transaktion selbst.
In-Car Payment Systeme können hierfür eine autonome, sichere und zuverlässige Lösung darstellen und sind daher für die Realisierung eines Schwarmspeichers von wesentlicher Bedeutung.
Mit Hilfe der Schnittstelle zwischen Fahrzeug, Netz und Serviceanbieter, können außerdem wertvolle Informationen über das Nutzerverhalten gewonnen werden. Die involvierten Parteien können die so gesammelten Daten verwenden, um fortan am generierten Umsatz beteiligt zu werden.
Im Sinne einer nahtlosen Nutzererfahrung muss der Zahlungsvorgang möglichst automatisiert erfolgen und sich in das bereits bestehende digitale Ökosystem der Kunden einfügen. Die Komplexität in der Umsetzung solcher Lösungen ist dabei nicht zu unterschätzen. Noch gibt es keine etablierten Standards, weder für die Plattformen der Fahrzeughersteller noch für die Abwicklung der Bezahlvorgänge. Besondere Bedeutung kommt daher den Schnittstellen zu.
Um eine möglichst große Verbreitung zu generieren und einen reibungslosen Ablauf der Prozesse zu gewährleisten, müssen viele Parteien involviert werden: Fahrzeughersteller, Serviceanbieter (z. B. Tankstelle, Mautbetreiber, etc.), Zahlungsdienstleister und womöglich Fahrzeugbetreiber (z. B. Carsharing-Anbieter). Zur Erleichterung der Integration vieler Serviceanbieter sollten Standards für die Schnittstellen verschiedener Plattformen entwickelt werden. Für den Endkunden werden über die Plattform Zahlungen gebündelt und als einzelner Rechnungsposten ausgewiesen.
In Echtzeit wird der Zahlungsstrom dieser Transaktion unter allen beteiligten Unternehmen aufgeteilt. So zahlt der Kunde beispielsweise pro Kilometer für sein Auto und die Zahlung wird zwischen Hersteller, Versicherer, Stromanbieter, etc. aufgeteilt.
Gleichzeitig erfolgt die Verrechnung der Gutschriften des Stromanbieters für die Verfügbarkeit als Zwischenspeicher. Weitere wichtige Aspekte sind die Sicherheit und die benötigte Infrastruktur, um Zahlungsdaten auszutauschen, zu speichern und zu verarbeiten.
Banken als Partner im Ökosystem der Urbanen Mobiliät
Die genannten Beispiele zeigen, dass die Aufgaben nicht vollumfänglich von den beteiligten Automobil- und Energieunternehmen übernommen werden können. Banken bilden die für In-Car Payments benötigten Prozesse bereits heute ab und qualifizieren sich daher als natürlicher Partner in diesem zukünftigen Ökosystem. Aber auch die Involvierung zukünftiger Nutzer ist notwendig, um das zu entwickelnde Ökosystem optimal an deren Bedürfnisse anzupassen, und dadurch eine hohe Nutzerakzeptanz schon im Entwicklungsprozess sicherzustellen.
Dieses System ist geprägt durch eine hohe Zahl von vernetzten Elektroautos. Flexible, intelligente, steuerbare und bidirektionale Ladestrukturen verbunden mit ebenfalls bidirektionalen Zahlungsströmen ermöglichen den Schwarmspeicher durch Elektroautos – die Energiewende erfasst die Mobilität von morgen.
Die Autoren:
- Michael Spahn, Co-Head Financial Institutions & Public Sector
- Jens Brokate, Vice President, Automotive Sector
Der Artikel ist im Kompendium future URBANITY ab Seite 42 ff. der Avnet Business Services GmbH erschienen.