Trotz einer langen Reihe von Krisen in den letzten Jahren hat die Wirtschaft der Eurozone eine bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit bewiesen und sogar die allgemein vorhergesagte Winterrezession vermieden. Mit Blick auf die Zukunft steht die Wirtschaft immer noch vor mehreren wichtigen Herausforderungen: der Krieg in der Ukraine, die Energiewende hin zu mehr Energieunabhängigkeit und erneuerbaren Energien, aktuelle und möglicherweise neue geopolitische Spannungen, Veränderungen der globalen Lieferketten, die Demografie und nicht zuletzt die Auswirkungen der aggressivsten geldpolitischen Straffung seit Beginn der Währungsunion. Eine weitere lange Liste von Herausforderungen, sowohl struktureller als auch konjunktureller Art, die sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringen. Herausforderungen, bei denen der Verkehrs- und Logistiksektor eine wichtige Rolle spielen wird.
Was die konjunkturelle Entwicklung anbelangt, so hat die Gesamtinflation aufgrund der niedrigeren Energiepreise begonnen, zurückzugehen. Die Überwälzung des letztjährigen Anstiegs der Energie- und Rohstoffpreise auf Dienstleistungen und Verbraucher scheint jedoch noch nicht abgeschlossen zu sein. Zusammen mit den erwarteten Lohnerhöhungen wird die Kerninflation zumindest in diesem Jahr hartnäckig hoch bleiben. Folglich wird der private Verbrauch voraussichtlich stagnieren. Für die EZB ist aus einem angebotsbedingten Inflationsproblem zunehmend ein nachfragebedingtes Inflationsproblem geworden. Infolgedessen und trotz der jüngsten Spannungen im Bankensektor wird die EZB die Zinssätze erhöhen, wahrscheinlich um insgesamt 0,5 Prozent bis zum Sommer. Die aggressivste geldpolitische Straffung seit dem Beginn der Währungsunion wird Spuren in der Realwirtschaft hinterlassen. Die Nachfrage nach Hypothekenkrediten für Eigenheime hat bereits begonnen zu sinken, und die Nachfrage nach Unternehmenskrediten folgt traditionell mit Verzögerung. Eine Verzögerung, die im Laufe des Jahres deutlicher sichtbar werden dürfte.
Neben den konjunkturellen Entwicklungen steht die Wirtschaft der Eurozone derzeit vor mehreren strukturellen Herausforderungen. Der Krieg in der Ukraine war ein weiterer Beschleuniger der Energiewende hin zu mehr Energieunabhängigkeit und erneuerbaren Energien. Der Krieg in der Ukraine hat uns auch daran erinnert, dass sich die globalen Lieferketten weiter verändern werden und dass wir wahrscheinlich den Höhepunkt der Globalisierung erreicht haben. Infolgedessen werden sich vermutlich Handelsströme, Logistik und Lieferkettenprozesse strukturell verändern. Der Wettbewerb um Ressourcen und Marktanteile wird sich weiter verschärfen. Die europäischen Regierungen haben darauf mit neuen Investitionsinitiativen reagiert, man denke nur an Infrastrukturinvestitionen, LNG-Terminals oder den Chips Act. Diese Übergänge sind nicht neu und werden die europäische Wirtschaft in den kommenden Jahren weiter prägen. Übergänge, die auch den Transport- und Logistiksektor betreffen werden.
Der Transport- und Logistiksektor ist ein Sektor, der sich durch seine Widerstandsfähigkeit und seine Fähigkeit zur Anpassung an Veränderungen auszeichnet. Werfen wir einen kurzen Blick auf die Herausforderungen, die die jeweiligen von der ING abgedeckten T&L-Subsektoren betreffen:
Automobilindustrie
Der gesamte Automobilsektor befindet sich im größten Wandel seit der Erfindung des Autos. Allein die Energiewende, die zur Elektrifizierung der meisten globalen Fahrzeugmärkte führen wird, erfordert eine Umstellung etablierter Geschäftsmodelle, eine Neugestaltung der gesamten automobilen Wertschöpfungskette und erhebliche Investitionen. Es gibt umsetzbare technologische Lösungen, um den emissionsintensiven Stand der Technik zu ersetzen. Daher haben sich die Marktteilnehmer verpflichtet, den weltweiten Markt für Elektrofahrzeuge anzukurbeln. Ein großer Teil des Kapitalbedarfs ergibt sich insbesondere aus der Ausweitung der Batterieproduktion und dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
Luftfahrt
Wir haben erlebt, wie der globale Luftfahrtsektor infolge der Reisebeschränkungen während der Corona-Pandemie eine langanhaltende, noch nie dagewesene Krise durchlief. Doch dank rigoroser Kostensenkungen, Flexibilität und eines guten Zugangs zu Liquidität befindet sich dieser globale Sektor nun auf einem Erholungskurs, wie er noch nie zuvor beobachtet wurde. Da die Fluggesellschaften weltweit wieder in die Gewinnzone zurückkehren und ihre Geschäftsmodelle wahrscheinlich so angepasst werden, dass sie robuster als zuvor sind, rückt die alles entscheidende Frage des Übergangs zu einer nachhaltigeren Zukunft wieder in den Vordergrund.
Landverkehr
Der Schienenverkehr ist die energieeffizienteste und am wenigsten kohlenstoffintensive Art des Gütertransports über Land. Das NZE-Szenario (Net Zero by 2050) der IEA zeigt, dass bis 2050 weltweit eine Steigerung der Bahnaktivitäten um 30 Prozent erforderlich ist, damit die Welt auf dem Pfad der 1,5-Grad-Anpassung bleiben kann. Der Schienengüterverkehr steht bei den Nachhaltigkeitszielen der EU an vorderster Stelle. Dies erfordert große Investitionen in die Infrastruktur und das rollende Material sowie politische Veränderungen in Europa. Gemeinsam mit unseren Kunden und Kollegen sucht die ING nach Lösungen, um den Schienengüterverkehr auf Netto-Null-Emissionen zu bringen.
Schifffahrt
Da etwa 80 % des Welthandels über den Seeweg abgewickelt und etwa 3 % der weltweiten Emissionen erzeugt werden, gilt der Seeverkehr als die kohlenstoffeffizienteste Art der Güterbeförderung. Die Schifffahrtsbranche steht jedoch unter dem Druck, den Treibstoffverbrauch zu senken und die Schiffseigner zu einer transparenteren ESG-Berichterstattung zu bewegen. Neben den Regulierungsbehörden für den Seeverkehr spielen auch die Finanzinstitute eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Branche in die Verantwortung zu nehmen und die Nachhaltigkeit zu fördern. Insbesondere durch die Poseidon-Prinzipien, den Rahmen für nachhaltige Schiffsfinanzierung, zu deren Gründungsmitgliedern die ING gehört. Die größte Herausforderung für die Branche ist die Entwicklung sauberer Kraftstoffe, die nicht ohne Hindernisse vonstattengeht.