Das geopolitische und makroökonomische Umfeld ist nach wie vor volatil. Umfragen zum Kreditgeschäft in Deutschland zeigen, dass Banken derzeit nach wie vor eher vorsichtig als optimistisch bei der Kreditvergabe sind. Faktoren sind neben dem wirtschaftlichen Umfeld auch die Regulatorik und die Eigenkapitalanforderungen sowie zunehmend auch ESG-Risiken, die mit der Aktivität von Unternehmen verbunden sind. ESG-Kriterien bergen jedoch große Chancen für Banken sowie Unternehmen, um ihre Geschäftsbeziehung zu vertiefen und sich von der Konkurrenz abzusetzen. Treasurer und Banken sollten ESG-Risiken daher proaktiv adressieren. Doch worum geht es bei diesen Risiken im Kern?
Zum einen geht es um den Einfluss, den ein Unternehmen durch seine Geschäftstätigkeit auf das sozioökologische Umfeld hat. Man spricht hier über das “inside-out“ Risiko des Geschäftsmodells. Welche positiven oder negativen Auswirkungen haben die Geschäftspraktiken auf das Klima, die Umwelt oder die Gesellschaft? Für Banken ist die Antwort auf diese Frage enorm wichtig, denn negative Praktiken von Unternehmen färben gleichermaßen auf sie selbst ab, mit Folgen für ihre eigene öffentliche Wahrnehmung. Wurde dann noch mit einer vermeintlich nachhaltigen Finanzierung des Unternehmens geworben, ist auch die Gefahr eines Greenwashing-Vorwurfs groß.
Zum anderen besteht für viele Unternehmen ein Transformationsrisiko ihres Geschäftsmodells. Produktions- und Lieferketten sind durch sich ändernde Klima- und Umwelteinflüsse bedroht und nicht alle Produkte und Dienstleistungen werden in der Zukunft noch relevant sein. Diese sogenannten physischen und transitorischen Risiken wirken sich direkt auf das Geschäftsmodell und somit letztlich auch auf das Kreditrisikoprofil eines Unternehmens aus. Man spricht hier vom “outside-in“ Risiko.
Oftmals werden Impact- und Transformationsrisiko jedoch getrennt betrachtet. Aber nur wer beides im Blick behält, wird langfristig im Wettbewerb bestehen können. Die gute Nachricht: Viele Unternehmen in Deutschland und Europa haben sich des Themas bereits angenommen.
Banken stehen vor ähnlich großen Herausforderungen. Sie müssen eine ESG-Risikoeinschätzung aller ihrer Firmenkunden im Kreditbuch vornehmen, doch die Anforderungen an diese Bewertung steigen. Gegenwärtig fokussieren sich Banken im Kreditprozess dabei auf ausgewählte Fragestellungen.
Untersucht wird beispielsweise, ob Unternehmen geeignete Maßnahmen treffen, um relevante Nachhaltigkeitsrisiken zu identifizieren und glaubwürdig offenzulegen oder zu kommunizieren. Zudem wird der Umgang eines Unternehmens mit diesen Risiken bewertet: Finden sich die Risiken in seiner finanziellen und operativen Strategie wieder? Und kann das Unternehmen dieses Vorgehen mit Daten und Kennzahlen untermauern?
Entscheidend für die Risikobewertung ist zudem, ob ein Unternehmen seine Nachhaltigkeitsziele einmalig oder über mehrere Perioden erreichen kann. Und auch der Vergleich mit Wettbewerbern spielt eine Rolle. Schlussendlich kann bewertet werden, ob sich Risiken der finanziellen Tragfähigkeit ergeben.
Die Qualität und die Konsistenz der von den Unternehmen zur Verfügung gestellten Informationen sind für die Banken bei der ESG-Risikoeinschätzung entscheidend und sollten sich stark an den Unternehmenszielen orientieren. Viele Banken wollen ihre Firmenkunden bei ihrer Transformation unterstützen und schauen deshalb auf eine langfristig ausgerichtete Strategie. Unternehmen brauchen Banken, um eben diese Transformation zu finanzieren. Bei der Kreditvergabe sind Transparenz und eine offene Kommunikation daher der Schlüssel für die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Banken.
Autor:
Finn Pauckstadt ist Kreditrisikomanager bei der ING Deutschland.