Die EU-Kommission hat kürzlich in einer Mitteilung eine Reihe neuer Regelungen der EU-Taxonomie ("EUT") verabschiedet, um den Kreis der förderfähigen Schiffe zu erweitern. Zuvor kamen nur Schiffe, die keine direkten CO2-Emissionen ausstoßen, für ein sogenanntes „Green Financing“ in Frage. Unter den neuen Regelungen wurden die Kriterien so erweitert, dass auch Schiffe, die bestimmte Schwellenwerte für Treibhausgasemissionen einhalten, förderfähig sind. Damit sollen Anreize für die Industrie geschaffen werden, ihre CO2-Emissionen weiter zu reduzieren. Durch diese Änderungen in der EUT könnte das Volumen nachhaltiger Investitionen im europäischen Schifffahrtssektor damit deutlich steigen.
Seehandel: unerlässlich, aber noch nicht nachhaltig
Klar ist: Ohne den Seehandel würde die Weltwirtschaft stillliegen - rund 80 Prozent des gesamten grenzüberschreitenden Warenstroms werden über den Seeweg abgewickelt. Alleine der Nord-Ostsee-Kanal wird jährlich von mehr als 30.000 Schiffen durchquert und etwa 2.000 Schiffe sind jederzeit auf der Ostsee unterwegs. Der Seehandel gilt als die kohlenstoffeffizienteste Art, Güter zu transportieren und ist trotz seinem immensen Anteil am Welthandel nur für etwa drei Prozent der globalen jährlichen Emissionen verantwortlich. Es gibt jedoch keinen Grund zur Entwarnung, denn wäre die Schifffahrtsindustrie ein eigenes Land, so würde sie zwischen Japan und Deutschland auf Platz 6 der größten CO₂-Emittenten rangieren.
Darüber hinaus ist die Branche für weitere ökologische Auswirkungen verantwortlich: Belastende Chemikalien im Anstrich der Schiffe, Abwasser und Abfälle die ins Meer geleitet werden, Ölverunreinigungen sowie Umweltrisiken durch nicht sachgemäße Ausrangierung alter Schiffe stellen erhebliche Risiken für die Umwelt dar. Entsprechend steht die Schifffahrtsbranche unter großem Druck, ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern und den Kraftstoffverbrauch sowie die CO2-Emmissionen zu reduzieren. Der Sektor wird in erster Linie durch die International Maritime Organization (IMO) reguliert, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die für Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit im internationalen Seeverkehr und zur Bekämpfung der Verschmutzung der Meere durch Schiffe zuständig ist. Dennoch kann die Umsetzung neuer Rechtsvorschriften viele Jahre dauern, und die Durchsetzung nationaler Strukturen im Seeverkehr kann schwierig sein, da es Reedereien und Schiffeigentümern freisteht zu wählen, unter welcher Flagge und entsprechend unter welchem gesetzlichen Rahmen sie fahren.
Banken und Regulierer nehmen Einfluss
Diese Herausforderungen bergen allerdings auch einige Chancen. Neben den Regulierungsbehörden spielen auch Banken eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Dekarbonisierung des Sektors voranzutreiben. Als Kapitalgeber und -verwalter können sie maßgeblich Einfluss nehmen. Auch die ING engagiert sich bei dieser Transformation und unternimmt verschiedene Schritte, um die nachhaltige Entwicklung des Sektors weiter voranzutreiben. So gehört die Bank beispielsweise zu den Gründungsmitgliedern der „Poseidon Principles“, einem Rahmenwerk für verantwortungsvolle Schiffsfinanzierung, das 2019 veröffentlicht und mittlerweile von 30 verschiedenen Banken genutzt wird. Die Initiative stellt einen Branchenstandard zur Bewertung und Offenlegung der Klimaausrichtung von Schiffsfinanzierungsportfolios dar, die Mitglieder finanzieren mit einem Gesamtportfolio von über 200 Milliarden US-Dollar über zwei Drittel des globalen Schiffmarkts. Anhand der jährlichen Emissionsdaten, die von den Reedereien für die von ihr finanzierten Schiffe zur Verfügung gestellt werden, misst die ING ihr Schiffsfinanzierungsportfolio am Zielwert der Poseidon-Prinzipien, um ihre Klimabilanz für den Schiffsverkehr zu ermitteln. In drei aufeinanderfolgenden Jahren nach der Einführung der Poseidon-Prinzipien hat die ING den Zielwert übertroffen, wobei der jüngste Wert 2,8 % unter dem Wert für das Jahr 2021 liegt. Der Wert wird im nächsten Klimabericht der ING, dem Terra-Bericht, veröffentlicht.
Ein weiteres Instrument, das von den Banken heutzutage häufig eingesetzt wird, sind sogenannte Sustainability Linked Loans, bei denen die Marge sinkt, je besser das Unternehmen im Voraus festgelegte ESG-KPIs erfüllt. Das Ziel besteht darin, dem Schifffahrtssektor durch finanzielle Anreize die Umstellung auf nachhaltigere Geschäftsmodelle zu erleichtern.
Dekarbonisierung als Chance für den Sektor
Erste Resultate sind dabei bereits zu sehen: Lag der Fokus in der Vergangenheit vor allem auf Antriebssystemen und neuen Schiffdesigns, so befasst sich die Branche zunehmend mit alternativen Brennstoffen wie Wasserstoff, Ammoniak, Elektrizität oder Methanol und deren Verfügbarkeit in den internationalen Lieferketten.
Eine Entwicklung von saubereren Kraftstoffen ist unerlässlich, um die Schifffahrt nachhaltiger zu machen. Derzeit gibt es leider noch keine marktreife Technologie, die den gesamten internationalen Schiffsverkehr mit nachhaltigem Kraftstoff verlässlich versorgen könnte. Aber die Forcierung von Nachhaltigkeit durch Banken und Regulierer hat etwas in Bewegung gesetzt: Immer mehr Reedereien starten Pilotprojekte für neue Brennstoffe oder nutzen auf kürzeren Strecken strombetriebene Fähren. Vielfach wird auch mit Flüssigerdgas (LNG) experimentiert, in der Erwartung, dass man zu Bio-LNG und/oder eLNG übergehen wird. In der Zwischenzeit gibt es eine Übergangslösung: Durch eine simple Verringerung der Geschwindigkeit, das sogenannte slow cruising, können Schiffe ihren Kraftstoffverbrauch und ihre CO2-Emissionen bereits heute deutlich reduzieren.
Die Schifffahrtsbranche verfügt über ein großes Potenzial und kann eine wichtige Rolle bei der nachhaltigen Transformation der globalen Wirtschaft spielen. Es liegt an allen Beteiligten – ob Reedereien, Regulierungsbehörden, Politik oder Finanzinstitute – dieses Potenzial zu nutzen.
Unsere Gesellschaft ist dabei, sich in Richtung einer CO2-armen Wirtschaft zu entwickeln. Daran wirken sowohl unsere Kunden als auch wir als ING mit. Wir finanzieren eine Reihe nachhaltiger Vorhaben, aber wir finanzieren auch immer noch mehrheitlich Projekte, die nicht nachhaltig sind. Erfahren Sie auf ing.com/climate, welche Fortschritte wir bei der Transition machen.