Die Digitalisierung ist DAS große Zukunftsversprechen in Unternehmen. In Zeiten knapper werdender personeller Ressourcen bei gleichzeitig wachsenden Anforderungen ist der Einsatz digitaler Lösungen ein vielversprechender Weg. Dabei wägen Unternehmen jedoch immer wieder zwischen Aufwand und möglichem Nutzen ab.
Die effiziente Nutzung der verfügbaren Daten wird für Unternehmen immer wichtiger. Echtzeitdaten, die jederzeit einen aktuellen Überblick über Zahlungen, Kontensalden oder Finanzierungsbedarfe liefern, verändern die Rolle des Treasury von einer Verwaltungseinheit zum Impulsgeber für das Management. Entsprechende digitale Lösungen, mit denen sich Prozesse automatisieren und die Daten generieren lassen, sind heute zunehmend verfügbar. Trotzdem tun sich Unternehmen in Deutschland immer noch schwer mit der Digitalisierung. Auch im Jahr 2023 dominieren häufig die Erfassung der Daten in Excel sowie der Austausch via E-Mail und Telefon. Eine gewisse Hemmschwelle ist nicht zu leugnen.
Aufwendige Implementierung
Die Umstellung von Prozessen auf digitale Abläufe ist komplex und erfordert auch auf Unternehmensseite häufig viel Vorarbeit. Die Erfassung und die Standardisierung sind wesentliche Voraussetzungen. Endlich implementiert, sind solche Lösungen, etwa im Kontenmanagement oder bei „Know your Customer“(KYC)-Prozessen, oftmals zunächst nur auf einen Bankenpartner begrenzt. Mit dem Electronic Bank Account Management (eBAM) beispielsweise können Unternehmen eine digitale Bankkontenverwaltung über standardisierte Übermittlungsprotokolle einrichten, trotzdem verlangsamt sich auf Unternehmensseite die Implementierung, wenn mehr als eine Bank im Spiel ist, da jeweils unterschiedliche Anforderungen abgedeckt werden müssen und solche Lösungen derzeit im deutschen Markt noch nicht vollumfänglich im Einsatz sind.
Hinzu kommt: Implementierungsprojekte sind unternehmensintern mit Aufwand verbunden, da Projekttage anderer Einheiten – wie etwa der IT – anfallen. Vor diesem Hintergrund stehen aktuell viele Digitalisierungsprojekte auf dem Prüfstand oder kommen nur schwer ins Rollen. Dabei könnten sie mittel- bis langfristig die Komplexität reduzieren und die Systemlandschaft vereinfachen. Unternehmen wägen jedoch ab, ob sich der Aufwand lohnt, welche Vorteile er bringt und ob sie diese Vorteile letztendlich auch effizient nutzen können.
Die Partner auf der Bankenseite, die entsprechende Tools zur Verfügung stellen, sind gut beraten, sich immer wieder zu fragen: Was braucht der Kunde tatsächlich? Und das sind eben nicht zwangsläufig nur die großen, umfassenden Lösungen. Ein Tool, das ein Liquiditäts-Forecast auf Basis der verfügbaren Daten auf Bankseite ermöglicht, wäre zwar ein Gamechanger für das Treasury, die Konzeption und Implementierung aber auch entsprechend komplex. Lohnt es sich, darauf zu warten?
Kleine Lösungen statt „großer Wurf“
Häufig können schon kleine Lösungen bereits für Freiraum sorgen – etwa die Möglichkeit zum digitalen Onboarding neuer Konzerngesellschaften oder eine digitale Kontoeröffnung, die sich anschließt. Solche Initiativen bieten daneben den Vorteil, dass bei agilen Arbeitsweisen schnell auf veränderte Anforderungen reagiert werden kann. Vor allem in der Anbahnungsphase ist es entscheidend, dass die Lösung schnell marktreif ist und funktioniert. Und noch ein weiterer Aspekt spricht dafür, zunächst nach ersten kleinen Lösungen zu suchen: Nicht alles, was technisch machbar ist, hält den Compliance-Anforderungen stand. Daher ist es sinnvoll, zunächst einzelne Komponenten zu digitalisieren, die auch regulatorisch funktionieren. Wer die digitale Reise beginnen möchte, ist deshalb gut beraten, in kleinen Schritten zu beginnen, statt auf die großen Sieben-Meilen-Stiefel zu warten.
Gastbeitrag von Andreas Gottlieb, Director Transaction Services bei der ING Deutschland
Der Treasurer 01/23, 24.03.2023